Farbtöne
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Es war der schwerste Sturm seit langem gewesen. Stundenlang hatte er gestern Nacht um die Häuser geheult, an den Fensterläden gerüttelt und die Rauchfahnen aus den Schornsteinen mit sich gerissen.
Aber scheinbar hatte er nicht nur ein bisschen Rauch fortgeweht. Als der kleine Affe Pepe morgens aus dem Fenster schaute, lagen dicke Äste auf der Straße, die der Wind abgerissen hatte.
Und gegenüber bei der strengen Lehrerin Frau Steif hatte der Sturm restlos alle Tulpen zerrupft. Wo sonst immer eine Blume kerzengerade neben der anderen stand, lag jetzt alles wild durcheinander. Aber Pepe fand es so sogar besser als vorher. Er mochte es gerne wild, bunt und mit allen Farben durcheinander!
Auch die Landschaft war endlich nicht mehr nur grau, sondern wieder farbenfroh mit gelben Krokussen im grünen Gras.
Und das Beste: Heute war Sonntag, Pepe hatte den ganzen Tag frei. Aber was sollte er machen?
Der kleine Affe legte den Kopf auf die Arme und schaute verträumt in den Himmel. An manchen Stellen war er schon wieder wie blankgeputzt, an anderen türmten sich noch richtige Wolkenberge auf. Und direkt vor ihm trieb eine besonders dicke Wolke vorbei, die haarscharf aussah wie ein riesiges Nilpferd, das ihm zuwinkte.
Das war es doch - im Zoo war Pepe schon lange nicht mehr gewesen!
Wenig später lief er mit seinen Freunden durch den Haupteingang des Zoos. Neben ihm her hoppelte sein bester Freund Holger, ein kleiner Hase, der wieder mal seine Trompete mit sich herumschleppte. Mit dabei war auch Theo, ein junger Fuchs aus seiner Schule.
Den nannten sie alle nur den „Schlaufuchs“, weil er ständig ein Buch vor der Nase hatte und auf fast alles eine Antwort wusste. Weiter hinten bei ihren Eltern im Kinderwagen schlief die Eule Emma. Wie meistens. - Eigentlich hatte Pepe die Kleine überhaupt nicht mitnehmen wollen. Aber, auch wenn er es jetzt noch nicht wusste, später würde er heilfroh sein, dass sie doch dabei war …
„Zu den Pinguinen, ich will zu den Pinguinen!“
Es war immer dasselbe. Holger musste unbedingt bei den kleinen Frackträgern vorbeischauen. Als Erster an der Absperrung versuchte er, die Pinguine anzulocken. Aber nicht einer beachtete ihn. Fast alle Vögel standen am Fuß des höchsten Felsen im Gehege und starrten nach oben.
„Oh Gott, schaut mal, da oben steht ein kleiner Pinguin ganz allein! Wie ist der da raufgekommen?“ Holger deutete mit seiner Trompete auf den schwarzweißen Vogel. „Was macht er denn da oben?“, fragte er einen alten Pinguin, der gerade an seinem Stock vorbeiwatschelte.
„Ach, der Jung …“ Der Alte schnaufte unwillig. „Den hat der Sturm gestern Nacht da hochgewirbelt und jetzt findet er es so toll, dass er nicht mehr runterkommt. Er will den Südpol sehen. Im Norden.“
Der alte Vogel tippte sich mit der Flügelspitze an die Stirn: „Bei dem piept’s wohl!“
„Ich sehe weiße Eisberge!“, schrie in dem Moment der kleine Pinguin und hüpfte ganz aufgeregt auf seinem Felsen herum.
Der Pinguin-Opa schüttelte den Kopf und murmelte: „Wahrscheinlich das Dach vom Fußballstadium … Ich liebe meinen Enkel wirklich sehr, aber die Sache mit der Hochbegabung können wir wohl vergessen.“ Damit schlurfte er weiter.
Und auch die Farbenfreunde bewegten sich fröhlich lachend weiter zum nächsten Gehege.
Dort schienen die Zebras Kriegsrat zu halten. Sie standen geschlossen im Pulk da und steckten die Köpfe zusammen.
„Was ist denn bei euch passiert durch den Sturm?“, rief Pepe zu ihnen hinüber. Eines der Zebras schaute auf und kam zu ihnen an den Zaun.
„Eigentlich nichts. Wir sind ja auch alle im Stall geblieben“, sagte es.
„Nur Miss Neugierig da drüben“, das dicke Zebra nickte mit dem Kopf zu den anderen, „musste ja unbedingt raus in den Sturm laufen.
Und jetzt seht euch an, was ihr das gebracht hat.“
Die restlichen Zebras rückten zur Seite und gaben den Blick frei auf einen größeren Busch.
Darin stand ein Zebra.
Ohne Streifen.
„Der Sturm hat seine Streifen weggeweht?!“ Theo konnte es nicht glauben und riss die Augen auf.
„Ja, kommt manchmal vor bei Zebras“, sagte das Zebra am Zaun. „Und jetzt weigert sich Belinda, aus dem blöden Strauch zu kommen.“
„Ich bin quasi nackt!“, jammerte das Zebra ohne Streifen. „Das ist so peinlich … Ich komme nie, nie wieder hier raus.“ Mit den Vorderhufen verdeckte es hektisch abwechselnd sämtliche Körperteile.
„Aber was wollt ihr denn jetzt tun?“, fragte Theo besorgt.
„Wir haben schon überlegt, sie einfach neu anzumalen.“ Das dicke Zebra zuckte mit den Schultern. „Aber die einzige Farbe, die wir noch haben, ist ein Eimer, den sie letzten Monat vergessen haben beim Streichen des Zauns. Und der ist nicht schwarz, wie ihr seht.“
„Ich bin verloren!“, heulte Belinda aus ihrem Busch.
„Ach, so schlimm ist das doch gar nicht“, meinte Pepe. „Du könntest das erste weiße Zebra sein, na?“
„Ich will Streifen!“, kam es jämmerlich aus dem Gestrüpp.
„Sei doch nicht traurig! Soll ich dir einen Witz erzählen, um dich ein bisschen aufzumuntern?“, fragte der kleine Affe. Witze erzählte niemand so gut wie Pepe!
„Ich will keinen Witz hören, ich will Streifen.“
„Ich könnte dir etwas auf meiner Trompete vorspielen?“, versuchte es Holger. „Würde dich das freuen?“
„Ich will kein Lied hören, ich will Streifen“, schniefte Belinda.
„Wartet mal …“ Theo hatte die ganze Zeit angestrengt auf seinem Tablet herumgetippt. „Ich glaub, ich hab’s! Ich weiß jetzt, wie wir schwarze Farbe bekommen.“ Er schaute auf und rückte seine Brille zurecht. „Trommelt alle zusammen, dann erkläre ich es euch.“
Wenig später wunderten sich einige der Leute, die vorbeiliefen, warum sich ein pinker Affe, ein gelber Hase und eine blaue Eule wahlweise ein paar Haare oder Federn ausrupften, um sie in einen Topf mit einem Rest Farbe zu werfen. Die meisten gingen kopfschüttelnd weiter. Aber die, die stehenblieben, konnten sehen, wie sich nach und nach die ganzen Farben zu einem schönen Schwarz vermischten. Zufrieden rührte Theo ein letztes Mal um.
„Müssen wir denn jetzt genau das Streifenmuster von einem anderen Zebra abmalen“, fragte Pepe und tauchte seinen Pinsel in die Farbe.
„Nein, jedes Zebra hat sein eigenes Muster, keines ist gleich“, erklärte Theo. „Malt einfach drauflos!“
„Ähem“, räusperte sich Belinda. „Momentchen. Könntet ihr meine neuen Streifen vielleicht so aufmalen, dass ich etwas schlanker wirke, ja? Besonders am Bauch bitte etwas schmaler … Sehr schön!“ Das Zebra drehte sich zufrieden zur Seite.
„Eitel war sie schon immer … Aber immerhin ist sie endlich wieder gestreift“, grinsten die übrigen Zebras.
„Ich hab ein Einhorn gesehen!“ Die kleine Lola kam ganz aufgeregt ins Haus gelaufen. Theo schaute nur kurz von seinem Tablet auf. „Erzähl doch keinen Blödsinn, Lola. Einhörner gibt es nicht.“
„Aber ich hab doch eins gesehen!“, beharrte das kleine Schaf.
„War es grau und ziemlich schwer?“, grinste Theo.
„Und das letzte Mal, als du es gesehen hast, warst du im Zoo, ja?“, zog er sie auf. „Das nennt sich Nashorn, Lola. Und jetzt lass mich in Ruhe.“ Damit wischte er wieder auf dem Bildschirm herum.
„Nein, nein, nein!“ Beleidigt stampfte Lola mit dem Fuß auf. „Da ist ein Einhorn. Und es steht draußen im Vorgarten. Geh doch nachgucken, wenn du mir nicht glaubst!“
„Oh, mann … Du gibst sonst sowieso keine Ruhe, oder?“ Theo rutschte genervt von der Couch und trottete hinter dem kleinen Schaf nach draußen. Gelangweilt putzte er sich im Gehen die Brille, setzte sie vor der Tür wieder auf und – war zum ersten Mal in seinem Leben sprachlos.
Mitten im Vorgarten saß ein kleines, dickes Pony. Ein sehr buntes Pony. Mit Horn. Das glitzerte wie verrückt.
„Hallo!“ Das kleine Einhorn hob einen Vorderhuf. Bunter Sternenstaub rieselte leise zu Boden. „Könnt ihr mir bitte sagen, wann der nächste Regenbogen ist?“, fragte es schüchtern.
„Wie …?“ Theo war sich nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. „Wie jetzt? Regenbogen?“
„Ich bin ein Einhorn“, sagte das Einhorn leise.
Lola nickte ernst. Theo schaute fassungslos und starrte das glitzernde Pony an. „Wie …? Was …? Warum …?“
„Ich galoppiere normalerweise über den Regenbogen, um nach Hause zu kommen“, nuschelte das kleine Einhorn. „Aber ich habe den letzten verpasst.“
Man konnte es nicht wirklich gut verstehen, weil es die Schnauze tief in der Tasche vergraben hatte, die um seinen Hals hing.
„Ah, den Wolken sei Dank, da ist er noch!“, freute es sich und zerrte einen schon etwas mitgenommenen rosa Plüschdrachen raus.
„Wieso verpasst?“, wollte der Fuchs wissen, der endlich wieder klar denken konnte. So ganz geheuer war ihm das alles aber immer noch nicht.
„Na, ich hab das Ende vom Regenbogen nicht mehr erwischt“, sagte das Einhorn unglücklich.
„Aber …“ Lola schaute in den Himmel. „Aber wieso denn nicht? Man sieht ja sogar jetzt noch einen schwachen Farbbogen da oben!“ Sie deutete auf den Horizont. „Komm, den erwischst du noch!“, feuerte sie das Einhorn an.
„Ähm … also …“, stotterte es. „Das ist ein bisschen hoch, wisst ihr? Für mich muss der Bogen ganz, ganz unten auf dem Boden anfangen, damit ich draufkomme.“
„Kannst du denn nicht fliegen?“
„Schon …“
„Aber …?“
Das kleine Einhorn knetete heftig an seiner großen Tasche herum. „Na ja … ich hab da so ein klitzekleines bisschen … wie soll ich sagen? Wie nennt man das? Fliegangst?“, gab das Einhorn kleinlaut zu und presste den rosa Drachen fest an sich.
„Flugangst meinst du? Du hast echt Flugangst? Als Einhorn mit eigenen Flügeln??“ Theo war baff.
„Ich arbeite dran“, flüsterte das Pony und schaute verlegen auf seine Hufe.
„Indem du einen Plüschdrachen im Arm hältst?“ Der Fuchs zeigte zweifelnd auf das Stofftier. „Das beruhigt mich!“, verteidigte sich das Einhorn. „Und ich bin doch immer so nervös. Und so aufgeregt. Und … und … so furchtbar fliegängstlich.“
„Aha …“ Theo und Lola mussten beide schmunzeln. „Ich rufe mal die anderen an“, sagte der kleine Fuchs, „wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir dich komisches buntes Pony wieder in deine Welt bekommen.“
Kurze Zeit später hatten sich alle Farbenfreunde um das kleine Einhorn geschart.
„Das ist also ein Einhorn?“, fragte Holger skeptisch und kratzte sich mit seiner Trompete am Kopf. „Ich dachte immer, die wären so anmutig und tänzeln leichtfüßig über die Wolken.“ Das kleine Einhorn stand stocksteif mit seinem rosa Plüschdrachen auf dem Rasen. Den Wolken und dem Himmel über ihm warf es mehr als ängstliche Blicke zu.
„Und ich dachte immer, die wären unbesiegbar und ganz mutig“, meinte Pepe. In dem Moment knallte jemand in der Straße eine Autotür zu. Das Einhorn vor ihnen machte aus dem Stand erschrocken einen Satz nach hinten und klammerte sich zitternd an den Drachen. Eine Wolke an buntem Glitzerstaub flog hoch.
Mathilda hustete. „In den Märchen steht auch, dass Einhörner mit ihrem Horn zaubern können“, sagte sie und schaute zu dem kleinen Einhorn. Das hatte sich wieder etwas gefangen, drehte sich vorsichtig um sich selbst und blieb dabei prompt mit seinem Horn in der Hecke hängen.
„Vielleicht entwickelt sich das mit der Grazie und dem Mut bei manchen Einhörnern ja erst spät“, grinste Pepe.
„Du hast also den Regenbogen verpasst?“, fragte Mathilda freundlich, als sich das Einhorn wieder aus der Hecke befreit hatte. „So wie man einen Bus verpasst?“
„Ja, so kann man das beschreiben“, meinte das bunte Pony und schabte unglücklich mit dem Vorderhuf auf dem Gras herum.
„Aber kannst du denn einfach irgendeinen Regenbogen nehmen, um nach Hause zu kommen?“, wollte der kleine Elefant wissen.
„Wenn ich von der Schule heimfahre, muss ich doch auch darauf achten, in welchen Bus ich einsteige, damit ich richtig ankomme.“
„Nein, so ist das nicht“, erklärte das Einhorn und schaute sehnsüchtig in den Himmel. „Alle Regenbögen enden am selben Ort.“
„Na klar“, mischte sich Holger ein, „die enden da, wo der Schatz liegt. Denn am Ende des Regenbogens liegt doch ein Schatz, richtig?“
Theo warf ihm einen abschätzigen Blick zu. „So einen Blödsinn glaubst du?“
Holger war beleidigt. „So, wo enden die tollen Regenbögen denn dann bitte?“, fragte er patzig.
„Na, im Märchenland.“ Das Einhorn zuckte die Schultern, als ob das sonnenklar wäre.
„Einen Schatz gibt es also nicht. Aber das ‚Märchenland‘?“ Holger malte Gänsefüßchen in die Luft und verzog das Gesicht.
„Natürlich. Da wohne ich.“ >
„Aha. Da wohnt er also …“ Theo hatte wirklich Probleme, das Ganze zu verstehen. Der Fuchs mochte es überhaupt nicht, wenn man Dinge nicht logisch erklären oder in Büchern nachlesen konnte.
„Warum bist du eigentlich nicht einfach in deinem Märchenland oder wenigstens auf dem Regenbogen geblieben? Warum bist du überhaupt hier unten bei uns?“, wollte Pepe wissen.
„Na, um Dino zu holen!“, sagte das Einhorn und hielt den Plüschdrachen hoch. „Ist mir runtergefallen. Und ich brauche ihn! Ich bin doch immer so …“
„Nervös!“, sagten alle Farbenfreunde wie aus einem Mund und lachten.
„Jetzt aber mal Spaß beiseite“, sagte Mathilda und setzte sich neben das Einhorn. „Wie können wir dir denn helfen? Lasst uns mal überlegen …“
„Einhörner bringen Glück. Das stimmt doch, oder?“ Mathilda lächelte das kleine Einhorn an.
„Hmm ...“, machte es nur und schaute weiter unglücklich in die Richtung, in der der letzte Regenbogen verblasst war.
„Hör mal“, Mathilda beugte sich zum ihm runter, „könntest du dann nicht einfach ein paar Tage hier bei uns bleiben und … mir … na ja … ein bisschen Glück bringen bei der nächsten Mathearbeit?“
„Lern doch einfach mal, statt dir ständig nur die Beine beim Yoga zu verrenken!“, fauchte Theo, der es gar nicht leiden konnte, wenn man schummelte.
Aber Mathilda beachtete ihn gar nicht.
„Hier, die sind genauso bunt wie du, schmecken dir bestimmt!“ Sie hielt dem kleinen Einhorn eine Tüte mit Gummibärchen hin.
„Na, was meinst du zu meiner Idee?“
„Ja, ich denke, das ist kein Problem“, sagte es zögerlich. „Doch, mach ich gerne!“, strahlte das Einhorn schließlich und kaute zufrieden.
„Super!“, freute sich Mathilda. „Dann wohnst du einfach ein paar Tage bei mir und begleitest mich in die Schule.
Fürs Wochenende hat der Wetterbericht sowieso wieder Regen vorhergesagt – mit ein bisschen Sonnenschein dazwischen. Dann hast du mit Sicherheit ganz viele Regenbögen zur Auswahl, auf denen du wieder nach Hause galoppieren kannst. Und weißt du was? Bunte Gummibärchen helfen sogar gegen Flugangst!“
„Ich hab das mal nachgelesen im Internet“, sagte Theo und rückte seine Brille zurecht. „Hier steht, dass man einen Regenbogen erzeugen kann, wenn man einen Lichtstrahl durch ein sogenanntes Prisma lenkt.“
„Dann können wir dir ja deinen ganz eigenen Heimweg machen, deinen ganz persönlichen Regenbogen!“, freute sich Holger und klatschte in die Hände. „Aber was ist denn ein Prisma? Und wo bekommen wir den her?“
„Prisma, heißt das“, korrigierte ihn Theo. „Das ist so eine Art Glaspyramide – haben wir sogar zu Hause irgendwo rumstehen, meine ich.“
„Na, dann los!“
Gemeinsam zogen die Farbenfreunde mit ihrem neuen Freund, dem kleinen Einhorn, los, um das Prisma zu suchen und einen Regenbogen zu schaffen, auf dem es wieder nach Hause zurückgaloppieren könnte.
Wenig später spannte sich aus dem Vorgarten von Theo ein wunderschöner Regenbogen in den Himmel, über den ein kleines Einhorn mit fröhlichen Hopsern hüpfte. Hinter ihm segelte eine glitzernde Spur von buntem Sternenstaub zur Erde herunter. Und schon wieder ein kleiner rosa Plüschdrache …
„Für die nächsten Tage ist überhaupt kein Regen angekündigt“, verkündete Pepe und legte die Zeitung weg. Traurig schaute ihn das kleine Einhorn an.
„Aber ohne Regen gibt es auch keinen Regenbogen, und ohne Regenbogen …“
„... kommst du nicht nach Hause. Ich weiß“, sagte Pepe.
Das kleine Einhorn ließ den Kopf hängen.
„Kann man denn da gar nichts machen?“, wollte Holger wissen.
„Du kannst dich ja an einem Regentanz versuchen!“, witzelte Lola. „Aber sonst …“
„Wartet mal!“ Pepe tippte aufgeregt auf der Computertastatur herum. „Hier hab ich was!“, rief er plötzlich und zeigte auf den Bildschirm.
Alle drängten sich um ihn herum und versuchten, einen Blick auf die Seite zu werfen.
„Das könnte klappen!“, freute sich Mathilda, die als Erste fertig gelesen hatte und schon auf dem Weg nach draußen war. „Komm, wir machen wir deinen eigenen Regenbogen!“, rief sie dem Einhorn zu.
Im Garten griff sich Pepe den Gartenschlauch. Ein breiter Schwall Wasser schoss in die Luft – und fiel wieder auf den Rasen. Aber von bunten Farben keine Spur.
„Warum funktioniert das denn nicht?“, fragte Lola enttäuscht.
„Versuch es noch mal“, sagte Mathilda zu Pepe. „Da stand, dass man bei Sonne mit dem Gartenschlauch einen Regenbogen zaubern kann. Das muss gehen!“
Wieder ließ der kleine Affe eine Fontäne an Wasser aufsteigen. Und wieder zeigte sich nicht der Hauch von Farben in der Luft. Geschweige denn ein Regenbogen.
„Komm ich doch nicht nach Hause?“ Das kleine Einhorn ließ sich entmutigt ins nasse Gras plumpsen.
„Doch kommst du“, sagte Pepe, der noch mal nachgelesen hatte. „Man muss sich mit dem Rücken zur Sonne stellen und dann das Wasser anmachen. So klappt es.“
Sofort bildete sich ein wunderschöner kleiner Regenbogen, direkt vor dem kleinen Einhorn, das bequem die Vorderhufe daraufsetzen und nach Hause galoppieren konnte.
Endlich! Die letzte Schulwoche vor den großen Ferien hatte angefangen und alle freuten sich auf die freie Zeit. Aber auch in der Schule war alles schon ein bisschen lockerer geworden. „So könnte es immer sein!“, freute sich der kleine Affe Pepe und malte mit schwungvollen Strichen in der Collage herum, die sie alle als Abschluss vom Schuljahr erstellt hatten. „Aber lernen tut man ja nix bei der ganzen Kleberei und Pinselei“, maulte Theo, der Fuchs.
Pepe verdrehte die Augen und lachte: „Mach dich doch mal locker. Es ist doch auch total in Ordnung, einfach mal nur Spaß zu haben.“ Der kleine Fuchs wirkte nicht überzeugt, warf Pepe einen schrägen Blick zu und rieb genervt an einem kleinen Farbspritzer auf seiner Brille herum. „Na ja, morgen steht doch etwas an, das wir alle mögen“, meinte Mathilda versöhnlich. „Bei dem Ausflug zur Ritterburg kannst du etwas lernen“, sie stupste Theo an. „Und du hast bestimmt Spaß, Pepe.“ Der kleine Affe grinste breit, und sogar Theo lächelte wieder.
Am nächsten Morgen tapste zusammen mit Pepe, Theo und Mathilda ein noch müder Holger mit hängenden Hasenohren durch den Wald, der zur Burg führte.
Als die Bäume weniger wurden, er hochschaute und plötzlich das gewaltige Schloss vor sich sah, kam aber direkt Leben in ihn. Der kleine Hase riss die Augen auf.
Auf einem steilen Fels lag Burg Eltz wie ein riesiger schlafender Drache. Die lange Zufahrt sah aus wie der Schwanz des Drachen, die vielen spitzen Giebel und Türmchen wie seine Rückenzacken und die spitze Festungsmauer ganz vorne war die Schnauze. „Aber nicht von jeder Zinne trompeten!“, ermahnte die Lehrerin den kleinen Hasen, der sofort losgespurtet war und vor allen anderen über die schmale Brücke auf das Burgtor zurannte.
„Und du verkneifst dir den Audiokommentar mit angeblich Wissenswertem zur Burg“, flüsterte Mathilda dem kleinen Fuchs zu, der schon wieder sein Tablet gezückt hatte.
„Aber man kann gerade bei Burg Eltz ganz toll sehen, dass hier einmal drei verfeindete Brüder gelebt haben, von denen trotzdem keiner ausziehen wollte.“ Der Fuchs holte tief Luft. „Da haben sie das Schloss einfach durch 3 geteilt, und jeder hat seine eigene Burg nach seinem Geschmack gebaut im Lauf der Zeit. Da oben der weiße Teil sieht deshalb auch ganz anders aus der da!“ Theo war ganz in seinem Element. „Bis zu 10 Stockwerke haben die Wohntürme und …“
„Lass es einfach mal gut sein.“ Pepe klopfte dem Fuchs im Vorbeigehen gutmütig auf den Kopf. Über die Schulter rief er ihm und Mathilda zu: „Wir dürfen uns alle selbst ein bisschen umschauen. Wollt ihr wirklich langweilige Baustile angucken oder nicht doch lieber mit Holger und mir nach dem Kerker suchen?“
„Nee, danke“, Mathilda verzog angeekelt das Gesicht. „Spinnenverseuchte, modrige Keller sind wirklich nicht meins.“
Kurz vor den Haupthäusern führte ein schmaler Weg leicht bergab in den unteren Teil der Burg. Vorbei an alten, moosbewachsenen Mauern, die sich klamm und richtig feucht anfühlten, je tiefer es runter ging. Und es wurde dunkler. Die hohen Mauern schirmten das Sonnenlicht, das den Burghof beschienen hatte, fast komplett ab. Hier unten sah man davon so gut wie nichts mehr. Wuchtige Mauervorsprünge warfen zusätzlich unheimliche Schatten in das Dämmerlicht.
„Sollen wir mal versuchen, ob eine von den Türen in der Mauer aufgeht?“, fragte Pepe unternehmungslustig und schaute sich prüfend um, ob sie auch allein waren.
„Wirklich? Bist du sicher? Wer weiß, was dahinter ist …“ Holger war das Ganze nicht geheuer.
„Deswegen gucken wir ja nach“, grinste Pepe.
Holger schluckte. Der kleine Hase wollte lieber wieder nach oben. „Ich weiß nicht ...“
„Was bist du? Ein echter Hasenfuß? Ein Angsthase?“, zog ihn Pepe auf.
Holger stellte empört die Ohren auf. „Ich bin kein Angsthase! Ich bin ein mutiger Hase, jawoll!“ „Na, dann …“ Pepe drehte vorsichtig an einem metallenen Türring und zog daran. Aber die schwere Holztür bewegte sich keinen Deut. „Hilf mir mal, die klemmt.“ Widerwillig trottete Holger zu der Tür und griff nach dem Metallring. Die beiden zogen und zerrten daran, aber nichts passierte. Schließlich stemmten sie die Füße in den Boden und zogen gemeinsam an dem Griff.
Mit einem schmatzenden Geräusch öffnete sich die wuchtige Holztür einen Spalt breit. Feuchter Modergeruch drang nach draußen. „Noch mal!“ Quietschend bewegte sich das schwere, mit Metall beschlagene Holz in den verrosteten Angeln etwas weiter und gab den Blick frei auf …
… Schwarz.
Gähnende Schwärze floss wie dunkler Schleim aus dem höhlenartigen Raum hinter der Tür nach draußen und sammelte sich in einer Pfütze auf dem Pflaster. Eisige Luft strich an Pepes und Holgers Beinen vorbei.
Und tief im Inneren der Höhle glühten zwei gelbe Augen auf.
„Mach wieder zu! ZU!“, kreischte der Holger und klappte vor Schreck beide Ohren vor die Augen.
Hektisch stieß Pepe die schwere Holztür mit aller Kraft wieder zu und lehnte sich zur Sicherheit von außen dagegen.
„Das ist ja gerade noch mal gut gegangen“, keuchte er außer Atem. Ihm zitterten aber auch die Beine und sein Herz schlug wie wild. Der kleine Hase hatte sich an der gegenüberliegenden Mauer zusammengekauert und wimmerte leise.
„Jetzt ist ja alles wieder gut“, versuchte Pepe ihn und sich zu beruhigen. Die Tür ließ er aber keine Sekunde aus den Augen, wenn er ehrlich war, hatte er einen Heidenangst. Zu dem kleinen Hasen sagte er trotzdem mit fester Stimme: „Holger, nimm die Ohren von den Augen. Guck: Tür zu, Affe nicht tot. Alles klar. Alles ruhig.“ Genau in dem Moment hörte man ein unheimliches, leises Kratzen auf der Innenseite der Tür.
Pepe machte aus dem Stand einen Riesensatz nach hinten. Dicht neben Holger kauerte er zitternd an der Wand und starrte mit schreckgeweiteten Augen auf das hölzerne Tor … in dem sich auf einmal ganz langsam und wie von Geisterhand der Türring knarrend drehte.
Der kleine Affe und der Hase waren wie gelähmt. Sie drückten sich beide schutzsuchend an die Mauer in ihrem Rücken, waren aber zu starr vor Angst, um wegzulaufen oder auch nur zu schreien.
Wie hypnotisiert starrten sie auf den Metallring, der sich wie in Zeitlupe immer weiter drehte, bis das Schloss in der Tür aufsprang.
Knarzend öffnete sich die alte Holztür Zentimeter um Zentimeter. Wieder krochen düstere Schatten aus dem Türspalt, die aussahen wie schwarze Finger, die über das Kopfsteinpflaster tasteten. Sie wurden immer länger, je weiter sich die Tür öffnete, bis sie fast an den Füßen von Pepe und Holger angekommen waren. Der kleine Hase hatte das Gefühl, als wollten die unheimlichen Schattenfinger nach ihm greifen.
„Hallo?“, hörten sie es da leise hinter der Tür. „Wolltet ihr zu mir?“ Pepe hob verwundert den Kopf. Die Stimme hatte nicht schrecklich und hohl geklungen. Nicht nach Dämon. Nicht nach Gespenst. Noch nicht mal nach dem Geist eines verfluchten (und daher bestimmt schlecht gelaunten) Ritters aus dem Mittelalter. Sie hatte nach einem Kind geklungen. Pepe nahm all seinen Mut zusammen und schlich zögerlich einen Schritt näher an die unheimliche Tür heran.
„Ähm …“ Er hatte einen dicken Kloß im Hals. „Äh … hallo?“, piepste er.
Quietschend wurde das dicke Holz von innen noch ein Stückchen weiter aufgeschoben und …
… und ziemlich weit unten tauchte eine sehr kleine, sehr grüne Schnauze auf.
Pepe vergaß für einen Moment völlig seine Angst und beugte sich vor, um besser sehen zu können, was das genau war.
Er sah, wie sich nach der Schnauze zwei große runde Augen und zwei kleine spitze Ohren hinter der Tür vorschoben, gefolgt von einem rundlichen Bauch.
„Seid ihr Besuch?“, fragte der kleine Kerl freundlich und tapste mit noch viel zu großen Füßen auf den Weg nach draußen. „Hoffentlich, denn ich liebe Befuch!“, lispelte er und strahlte Pepe und Holger an.
Vor ihnen stand ein leuchtend grüner kleiner Kerl, der Pepe noch nicht mal bis zur Schulter ging. Das Erste, was an ihm auffiel, waren der lange Schwanz und die zackigen Flügel. Das zweite war eine große Zahnlücke, weswegen der Kleine sich wahrscheinlich so komisch anhörte und kein S sprechen konnte.
„Wie … wer? Aber …“ Der Affe musste sich kurz am Türrahmen abstützen, so durcheinander war er.
Der kleine Kerl hielt Pepe eine grüne Klaue hin.
„Ich bin Jonathan. Und ihr?“ Lächelnd schaute er von Pepe zu Holger, der sich langsam näher rantraute, aber immer noch seine Trompete wie ein Schwert vor sich hielt.
„Ich … also, ich bin … Pepe“, stammelte der Affe, „und das ist …“
„Wo treibt ihr euch denn rum?“, hörten sie da Theo rufen. „Wir suchen euch schon …“ Der Fuchs und Mathilda stoppten mitten im Satz und im Lauf, als sie näherkamen und das Trio vor sich sahen. Theo zeigte mit offenstehendem Mund ungläubig auf Jonathan.
„Der Fuchf redet nicht?“, wollte Jonathan von Pepe wissen und winkte Theo fröhlich zu.
Pepe musste grinsen. „Doch, eigentlich schon. Aber du hast es geschafft und selbst unseren plappernden, besserwisserischen Schlaufuchs sprachlos gemacht. Du bist …“ Er zögerte. „Also du bist wirklich ein …?“
„Ein Drache. Ja, klar“, erkläre Jonathan sonnig. „Ich wohne hier.“ Und als ob es das Natürlichste der Welt wäre, lud er die Farbenfreunde ein: „Wollt ihr mal sehen, wo? Hier entlang!“ Damit trottete er voran durch die morsche Tür, direkt hinein in die düstere Höhle. „Kommt ihr?“, hörten sie es dumpf aus der Dunkelheit.
Pepe überlegte wie immer nicht lange und sprintete hinter dem kleinen Drachen her. „Spinnst du?“, schrie Holger. „Komm zurück!“, rief Mathilda.
„Das darf ja wohl nicht wahr sein!“, schimpfte Theo. Er schüttelte kurz ungläubig den Kopf, schaltete dann seufzend die Lampe an seinem Handy ein und schlich vorsichtig in die Dunkelheit. „Wir können Pepe nicht allein lassen, also kommt!“, rief er über seine Schulter den anderen beiden zu.
Mit hängenden Ohren und eingeklemmtem Rüssel betraten schließlich auch Holger und Mathilda die Höhle.
Nach ein paar Metern wurde der düstere Raum immer schmaler und mündete in einen unterirdischen Gang. Der musste tief unter der Burg im Berg liegen, so eiskalt war es plötzlich. Holgers Knie schlotterten wie zwei dürre Blätter im Wind. Es ging links herum, dann nach rechts, wieder scharf links ab und noch mal in der anderen Richtung ums Eck.
„Mir ist schwindlig“, klagte Mathilda, behielt aber den Schein von Theos Handy ein paar Meter weiter immer fest im Blick. „Ich halte das für keine gute Idee“, wisperte Holger, der hinter ihr lief, und sich nach jedem Schritt ängstlich umschaute. Sein Griff schloss sich fester um seine Trompete.
Plötzlich wischte etwas über seinen Kopf und berührte in kurz an den Ohren. Der Hase erschreckte sich so sehr, dass er nicht aufpasste, wo er hinlief, und unsanft gegen Mathilda prallte, die stehengeblieben war. „Bestimmt nur eine Spinne“, beruhigte ihn Mathilda und schüttelte sich. „Komm, weiter.“
Einmal mussten sie sich noch an einem Schutthaufen, der den halben Weg versperrte, vorbeiquetschen,
dann wurde der Gang endlich wieder breiter und sie konnten ein helles Licht am Ende erkennen. Und ein Funkeln.
„Das ist meine Tante Ludmilla“, sagte Jonathan, der in der Mitte einer Höhle stand, die von unzähligen Kerzen beleuchtet wurde. Er zeigte auf einen alten Drachen, der offenbar seinen Schatz bewachte. Denn auf einem glitzernden Schmuckhaufen saß eine runzlige Drachendame in einem sehr seltsamen Aufzug. Es musste eine Art Morgenmantel sein, den sie da anhatte. Mit rosa Blümchenmuster. Und mit ganz vielen Rüschen unter dem Hals und an den Armen, die sie alle hektisch aufplusterte, als sie sah, dass Gäste kamen.
Auf dem Kopf trug sie einen seltsamen gewickelten Turban mit einer Feder über der Stirn, die bei jeder ihrer Bewegungen leicht wippte, und um den Hals hatte sie sich unzählige Perlenketten geschlungen. An fast allen ihrer langen Krallen funkelte ein großer Ring mit einem bunten Stein, und an jedes Ohr hatte sie gleich mehrere Ohrringe gehängt, die alle gegeneinander baumelten, als sie den Kopf langsam in ihre Richtung bewegte und ihn wie eine Satellitenschüssel drehte.
Tante Ludmilla hatte nach einem kurzen Blick auf den Besuch aber schon wieder das Interesse daran verloren und blätterte in ihrer Zeitschrift, der „Drachen-Post“, wie Theo erkennen konnte. Scheinbar hatte sie gerade etwas sehr Interessantes gelesen, denn sie richtete sich plötzlich kerzengerade auf ihrem Schmuckhaufen auf. „Jonathan hör zu!“, krächzte sie. „Hier steht: 'Wenn der Funke nicht überspringen will. Hilfe bei erloschenen Nüstern: Drago-Spray!'
Das brauchst du, Junge! Das ist bestimmt die Lösung! Es kann ja nicht angehen, dass du mit fünf immer noch kein brauchbares Feuerchen zustande bringst! Mit den drei Fünkchen, die du spucken kannst, blamieren wir uns auf der nächsten Familienfeier ja bis auf das Drachenskelett.“
Jonathan ließ den Kopf hängen, und Pepe war der boshafte alte Drache sofort unsympathisch. Es war klar, dass die Tante dem kleinen Drachen sehr wehgetan hatte mit ihrer Bemerkung. Holger ließ mitfühlend die Ohren hängen.
„Du kannst noch nicht Feuer speien?“, fragte Theo freundlich nach.
Jonathan schüttelte unglücklich den Kopf. „Kommt nur Rauch“, flüsterte er leise.
„Fehlzündungen!“, krächzte Ludmilla von ihrem Schmuckhaufen herunter. „Nichts als Fehlzündungen! Das ist alles, was der Junge zustandebringt. Tzz.“ Sie schnalzte abfällig mit ihrer lange Zunge. Damit ruckelte sie ihr graugrünes Hinterteil zurecht, dass es nur so klirrte unter ihr. Zufrieden klopfte sie auf den glitzernden Haufen unter sich und griff wieder zu der Zeitung neben sich.
„Hör nicht auf sie. Das ist ganz normal, dass du in deinem Alter noch kein Feuer spucken kannst“, sagte da eine sanfte Stimme. Hinter Ludmillas Schmuckhaufen schob ein jüngerer, wunderschöner und in allen Grüntönen schimmernder Drache einen Vorhang zur Seite und kam in die Höhle.
„Mama!“ Jonathan rannte zu ihr und vergrub sein Gesicht an ihrem Bauch.
„Neue Freunde?“, fragte sie freundlich und musterte Pepe und die anderen. „Das freut mich“, lächelte sie. „Hierher verirren sich nicht viele Kinder, mit denen Jonathan spielen könnte.“
„Bis auf Fergej!“ Der kleine Drache schaute sich suchend in der Höhle um. „Wo ist er?“
„Keine Ahnung, wo der sich wieder rumtreibt. Sergej – mit S“, sie lachte, „ist eine junge Fledermaus. Er ist mit Jonathan aufgewachsen“, erklärte die Drachenmutter.
„Ej, Amigo! Man ruft nach mir?“ Damit flatterte eine ziemlich mickrige Fledermaus auf Jonathans Schulter. „Was geht?“ Lässig lehnte Sergej sich zurück, schaute grinsend über den Rand seiner Sonnenbrille und pulte mit der Kralle an einem seiner Eckzähne herum. „Frischfleisch, das freiwillig in die Höhle spaziert ist?“, fragte er keckernd und deutete mit einem Flügel auf die Farbenfreunde. Holger ließ vor Schreck seine Trompete fallen.
„Sergej, lass die dummen Witze oder du fliegst raus!“, herrschte ihn Jonathans Mutter an.
Unbeeindruckt davon fläzte sich die struppige Fledermaus auf der Schulter des kleinen Drachen. „Habt ihr denn keine Angst?“, wollte er wissen. „So ganz allein in der Höhle des Drachen?“ Er beugte sich zu Theo hinunter. „Weißt du … bei Drachen und Fledermäusen steht Jungfuchs ganz weit oben auf der Speisekarte“, raunte er ihm zu und ließ seine spitzen Eckzähne aufblitzen.
„Raus!“ Jonathans Mutter hatte die Fledermaus mit zwei Krallen am Kragen gepackt und gen Ausgang gescheucht. „Und schalt in der Höhle um Himmels Willen dein Radar an, Sergej, sonst knallst du wieder überall gegen!“, rief sie ihm noch nach. „Er sieht doch eh schon so schlecht, und jetzt trägt er noch diese dämliche Sonnenbrille, weil das angeblich cool aussieht“, seufzte sie. „Zum Geburtstag wünscht er sich ein Vampircape.“ Sie schüttelte den Kopf. „Fledermäuse. Spinnen irgendwie alle.“
„Ähem …“ Holger räusperte sich und lächelte unsicher. „Um noch mal auf das Lieblingsessen von Drachen zu kommen …“
„Als Snack für zwischendurch lieben Drachen Hase eigentlich schon“, raunte der alte runzlige Drache, der plötzlich wie aus den Nichts hinter Holger aufgetaucht war. Erschrocken fuhr er herum. Er musste seinen Kopf ganz nach hinten in den Nacken legen, damit er an dem riesigen Drachen vor sich hochschauen konnte.
Der kleine Hase schluckte schwer. Und klappte vor Schreck wie immer beide Ohren vor die Augen. Als er gerade noch überlegte, wie viele Haken er durch die Beine des Drachen schlagen könnte, um zu fliehen, beugte das Ungeheuer den Kopf nach unten, bis seine Fangzähne schon Holgers Gesicht kitzelten. Der erschreckte sich dadurch so sehr, dass er die Ohren fallen ließ und direkt in das linke schwefelgelbe Auge des Drachen schaute. Stocksteif stand der kleine Hase da. Noch nicht mal ein Ohr zuckte. Nur seine Barthaare zitterten leicht.